Mount Valley

Tagebuch

 

 

 

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Seite 4

Erste Woche

 

Sonntag 

Am Sonntag stehen wir schon vor sieben Uhr auf, ich will noch schnell vor unserer Abfahrt unter die Dusche, aber die ist kalt, obwohl seit gestern Mittag die Sonne aus wolkenlosem Himmel gebrannt hat. Ich werde mich wohl aufs Dach zu den Sonnenkollektoren begeben müssen, wenn wir aus Windhuk zurück sind. Um kurz nach neun Uhr befinden wir uns auf der C 27 Pad und bereits etwas später, wir sind gerade auf Haremub oder noch auf Sinclair, stellt Christa fest, dass wir vergessen haben, den Nudelsalat für Heusis mitzunehmen. Zum Mount Valley Haus sind es zurück bestimmt 45 Minuten, wir würden also mindestens 90 Minuten später auf Heusis ankommen als geplant. Wir wollen aber noch etwas sehen von Heusis. Also lassen wir den Nudelsalat im Kühlschrank auf Mount Valley. 

Die Piste ist auf den ersten 120 Km außerordentlich schlecht. Der Regen der vergangenen Tage hat mehrfach ganze Abschnitte weggespült, und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die Schäden beseitigt sind, obwohl auch heute am Sonntag daran gearbeitet wird. An der Brücke über den Fischfluss essen wir unsere Padbrote. Der Fluss, den wir bisher nur trocken mit einigen Wassertümpeln im Flussbett kennen, ist zu einem braunen Strom geworden, der gurgelnd unter der Brücke durchrauscht. Gäbe es die 1953 erbaute Brücke nicht, wäre hier unser Windhukausflug zu Ende. 

Um 15.15 Uhr erreichen wir Heusis. Alle Türen sind verriegelt und verrammelt, und es scheint niemand da zu sein, denn wir benehmen uns laut und auffällig, ruckeln an Türen und klopfen an Fenster, ohne dass sich etwas rührt. Wir setzen uns auf die Veranda und trinken kühles Wasser aus unserer Thermosflasche. Schließlich erscheint aus dem kleinen Haus ein verschlafener, hagerer Geselle, der sich als Heinrich F. vorstellt, ein Jagdgast aus R. Dietmar schläft, sagt er, und sein Kollege sei auf Affenjagd. Oh, sage ich, da haben wir aber Glück gehabt, dass wir heile zum Haus gekommen sind. Er guckt etwas irritiert, er kennt offenbar nicht diese Geschichte, die so unwahrscheinlich klingt, aber vor einigen Monaten hier wirklich passiert ist: 

Auf einer Farm im Osten ist ein einheimischer älterer Jagdführer mit einem Deutschen Jagdgast auf Affenjagd gegangen. Der Jagdführer entdeckte hinter einem Busch einen Pavian und schießt. Hinter dem Busch saß kein Pavian sondern der Deutsche Jäger. Der Schuss war gut, der Jäger sofort tot. Der Jäger war mit seiner Ehefrau angereist. Der Jagdführer hat noch seine traurige Pflicht erfüllt, und der Ehefrau von dem Malheur berichtet. Dann hat er sich selbst erschossen. Namibia ist ein raues Land. 

Nun ist auch Dietmar von seinem Mittagsschlaf erwacht und zuletzt erscheint Caroline, die in Windhuk war. Caroline ist ein wirklich hübsches Mädchen, und ein kleiner Sonnenschein dazu. Christa und Caroline verstehen sich auf Anhieb gut. Caroline kommt aus L., hat im Juni Abitur gemacht und befindet sich seit Juli als Praktikantin auf Heusis. Sie hat mit ihren Eltern ausgehandelt, vor einem Studium ein Jahr  lang fremde Länder und Menschen kennen lernen zu wollen, und zwar nicht als übliche Rucksacktouristin, sondern indem sie in einem fremden Land bei Einheimischen wohnt und sich nach Möglichkeit nützlich macht. Sie ist 6 Monate auf Heusis und geht anschließend noch einmal für 6 Monate auf eine Lodge nach Südafrika am Rande des Krügerparks. Sie hat auf der letzten ‚Jagd und Pferd’ Messe in Hannover im November 2003 den Dietmar, der dort einen Stand hatte, angesprochen und andere Jagdfarmer auch, anschließend noch ein bisschen gemailt und sich dann für Heusis entschieden, weil das nahe an Windhuk liegt, und sie den Dietmar sowieso am nettesten fand. Wir haben schon in Deutschland von Caroline gehört, ihre Kochkünste sollen sich auf die Zubereitung eines ganz bestimmten Salates beschränken. Sie ist aber auch nicht als Küchenpraktikantin auf Heusis sondern als Pferdepraktikantin. Das relativiert sie aber selbst, sie reitet nur einfach gerne. Caroline scheint inzwischen so etwas wie der gute Geist auf Heusis zu sein, sie kümmert sich darum, dass alles im Haus ist, fährt zwei bis drei Mal in der Woche nach Windhuk und macht Besorgungen, und wird von Salonika und Veronika, den Frauen in der Heusisküche, trotz ihrer Jugend als eine Art Hausfrau auf Heusis akzeptiert und respektiert, habe ich den Eindruck. 

Carolines Vater war gerade für eine Woche auf Heusis,  offiziell zur Jagd, aber ich denke, ihn interessierte eher das Wohlergehen seiner Tochter. Caroline hat ihren Vater heute zum Flughafen gebracht. Gestern war eine große Abschiedsparty. Caroline sagt, dass die Herren Jäger heute noch bei einsetzender Morgendämmerung kräftig gefeiert hätten, von dem Lärm der Jäger sei sie wach geworden. In Dietmars Schlafzimmer ist eine Fensterscheibe zerbrochen, die Scherben liegen draußen auf der Erde, auch von Blutspuren an der Wand ist die Rede. Dietmar weiß nicht, was da passiert ist. Ich würde ganz schön ins Grübeln kommen, wenn ich morgens aufwache und mein Schlafzimmerfenster wäre eingeschlagen. Ich empfehle ihm, jetzt in der Regenzeit wenigstens Pappe vor das Fenster zu nageln. Auch im Waschbecken des Gästehauses, wo wir einquartiert werden, liegen  Glasscherben unbekannter Herkunft. Es ist milchiges Glas, aber alle Lampen sind heile. 

Zu unserer großen Überraschung sind Hans und Grete noch in Namibia. Die wähnten wir längst in Australien. Die haben sich am Freitag zum Flughafen bringen lassen, um nach Australien zu fliegen, und dort festgestellt, dass ihr Flug für Donnerstag und nicht für Freitag gebucht war. Sie hätten ja auch schon mal vorher auf ihr Ticket schauen können. Grete hat der Christa vor einer Woche erzählt, dass sie am Samstag fliegen, aber Hans wusste es besser, nein, am Freitag. Nun war es der Donnerstag.  Sie haben eine etwas komplizierte Flugverbindung mit verschieden Fluggesellschaften. Erst von Windhuk nach Johannesburg , von dort nach Perth oder Sydney und dann weiter nach Melbourne. Es scheint etwas schwierig, diese Versatzstücke für eine neue Verbindung mit freien Plätzen wieder zusammen zu basteln, ohne dass sie halbe Tage auf öden Flughäfen verbringen müssen. Zurzeit sind sie noch bei Margot und Günter Garbade auf der Farm Khomas. Bei einem geplanten Australienaufenthalt von 4 bis 5 Monaten spielt das aber wohl keine Rolle. 

Hans und Grete haben schon einmal einen Flug verpasst, kann ich mich erinnern. Sie wollten mit LTU von Windhuk nach München fliegen. Gerade als sie in die Straße zum Flughafen einbiegen und auf das Flughafengebäude zu fahren, sehen sie die LTU Maschine, in der sie sitzen wollten, hinter dem Gebäude abheben und in den Lüften entschwinden. Freudestrahlend tauchten sie anschließend bei Metzgers auf, wo wir gerade einen Kaffee tranken. Ich denke, so etwas kann nur passieren, wenn man im Unterbewusstsein gar nicht weg will. 

Christa und ich machen mit Caroline und dem Jäger Heinrich eine Sundownertour, packen eine Kühlbox mit Gin und Tonic und binden den vornehmen Deutsch Drahthaar namens Baldur hinten auf dem Toyota Landcruiser fest. Der Jäger Heinrich will zwei Perlhühner schießen, morgen soll es auf Heusis Perlhuhnfrikassee geben. Dietmar kommt nicht mit, er will lieber noch ein bisschen schlafen. Es gibt auf Heusis etwa eine halbe Stunde vom Haus entfernt auf einer Kuppe einen wunderschönen Sundownerplatz, von dem aus man einen fantastischen Blick weit über das Khomas Hochland hat. Es hat in den vergangenen Tagen viel geregnet, das Gras ist grün und steht hoch. Wir sind immer wieder gerne hier auf Heusis im grünen Hügelland, das ganz anders ist als unsere roten Berge am Namibrand. 

Auf der Rückfahrt zum Haus sollen nun Perlhühner gejagt werden. Auf der Hinfahrt haben wir schon beim Oas Jägercamp eine Perlhuhnschar gesehen, die sich immer noch dort aufhält. Der Jäger Heinrich springt behände mit der Flinte aus dem Landcruiser, der glücklicherweise keine Türen mehr hat, es fällt auch ein Schuss, aber alle Perlhühner können gesund entfleuchen. Auf der Weiterfahrt sitzt der Jäger Heinrich schussbereit neben mir auf dem Beifahrersitz, der Lauf der Flinte hängt lässig aus der Türöffnung, wie damals auf Patrouille in Vietnam. Plötzlich laufen vor uns auf der Pad zwei Perlhühner. Glücklicherweise hat der Landcruiser auch keine Frontscheibe mehr, ich bremse, und der Jäger Heinrich kann nun bequem über die Motorhaube hinweg schießen. Ein Perlhuhn ist getroffen, überschlägt sich und bleibt flatternd liegen, das andere Huhn verschwindet im Busch. Beim nächsten geschlossenen Weidetor muss ich anhalten, und das Perlhuhn, dessen Kopf zerschossen ist, beginnt wieder zu flattern, bis es vom Jäger Heinrich gegen den Toyota geschlagen wird. Nun ist es endlich tot. Dietmar sagt seinen Jagdgästen, dass sie gerne Hühner für die Küche schießen dürfen, nur müssen sie die Hühner dann auch selbst so schnell wie möglich ausnehmen, weil das Fleisch sonst verdirbt. Mit diesem Huhn passiert gar nichts mehr. Es liegt auch am Montagmorgen immer noch auf dem Dach der Hollywoodschaukel am Swimming-Pool, wo es der Jäger Heinrich nach unserer Ankunft ablegt. Jetzt im Frühling finden sich die Perlhühner zu Paaren, bauen Nester und ziehen ihre Küken groß. 

Der andere Jäger, Michael Sch. ist inzwischen glücklos von der Affenjagd zurückgekommen. Er ist 10 Stunden durch den Busch gewandert, ohne einen Pavian zu sehen. Ich frage ihn, ob er schon mal einen Pavian geschossen hat. Er hat noch nicht. Eigentlich gibt es auch keinen Grund, Paviane zu jagen. Für die Küche wird jedenfalls in unserem Kulturkreis kein Affe geschossen, und ich denke, dass sich nur wirklich perverse Menschen einen Paviankopf ins Wohnzimmer hängen. Allerdings können Paviane immense Schäden anrichten. Jede Namibianische Hausfrau kriegt tagelange Heulkrämpfe, wenn eine Pavianhorde durch ihren Hausgarten gezogen ist. Der wirklich paviansichere Zaun ist leider noch nicht erfunden. 

Nun hat jeder hier sein eigenes todsicheres Rezept, Paviane vom Haus fern zu halten. Da gibt es die Geschichte mit den Orangen, in die man Tabasco spritzt und für die Paviane auslegt. Wenn die da reinbeißen, würden sie schreiend Reißaus nehmen und nicht mehr wieder kommen, und mit ihnen sogleich die ganze Horde. Ich frage mich, warum sollen die sich so dämlich verhalten? Sie werden in keine Orange mehr beißen und sich genussvoll den anderen Früchten des Farmgartens zuwenden. Dann gibt es noch die Geschichte mit dem gekalkten Pavian, die wohl auch eher in die Kategorie Jägerlatein gehört. Man fange einen Pavian aus einer Horde, am besten ein Alphamännchen, kalke den Affen weiß und schicke ihn zu seiner Horde zurück. Beim Anblick des gekalkten Kumpels rennen die anderen schreiend weg, bis zum Atlantik, und der Weiße  immer hinterher. Ich stelle es mir schon sehr kompliziert vor, ein Alphatier aus einer Pavianhorde zu fangen. Da wird ziemlich großer logistischer Aufwand erforderlich sein, und in der Regenzeit werden die sowieso nicht so sehr weit weglaufen. Ich denke, dass sie sich eher totlachen beim Anblick des gekalkten Kumpels. 

Am wirkungsvollsten ist es wohl, sich mit dem Gewehr auf die Veranda zu setzen, wenn eine Pavianhorde naht, und ein Tier zu schießen. Diese Horde hält sich dann garantiert für längere Zeit vom Haus fern. Nur ist das gar nicht so einfach. Paviane haben Herzen so klein wie Menschenherzen. Ein sicherer Kopfschuss ist auf große Entfernung schwierig. Man wird einen Pavian meistens nur anschießen. Dann muss man das angeschossene Tier suchen, um ihm den Fangschuss zu geben. Nun beginnt das Drama. Der verwundete Pavian hockt verängstigt hinter einem Busch oder Felsen, er weiß genau was geschehen wird. Er sieht den Jäger mit flehentlichen Augen an, hält die eine Hand auf die blutende Schusswunde, und den anderen Arm angewinkelt schützend vor den Körper. Ein Freund von mir musste sich nach einer Pavianjagd übergeben. Als ob man einen Menschen erschießt, sagt er.

Wir setzen uns auf die Veranda und trinken einen zweiten Sundowner. Der Jäger Heinrich verschwindet mit seiner Flinte auf dem anderen Ufer des Heusis Riviers im Busch. Er will das für Morgen geplante Frikassee mit einem zweiten Perlhuhn komplettieren. Mit Beginn der Abenddämmerung ist die Luft erfüllt vom Gezeter und Rufen der Frankoline und Perlhühner, die sich um die besten Schlafplätze in den Bäumen streiten. Dies sind für mich die typischen Abendgeräusche Afrikas. Bei uns auf Mount Valley am Wüstenrand gibt es leider keine Perlhühner und Frankoline. Vier oder fünf Mal knallt die Flinte des Jägers Heinrich, der ohne Beute zurückkommt, als es schon fast dunkel ist.

Beim Abendessen fällt der Strom aus, es ist sofort stockfinster. Sogleich ist Caroline entschwunden und kommt nach einigen Minuten mit der angeblich einzigen Kerze wieder, die es auf Heusis noch gibt, seitdem die Farm vor zwei Jahren an das Stromnetz angeschlossen wurde. Strom aus dem Stromnetz ist für die Farmer wie eine Zeitenwende. Wie komfortabel Strom aus der Leitung ist, weiß man erst, wenn man sich mit Generator, Solarzellen und Windrädern herumquälen musste. Dietmar sagt, dass es häufiger zu Stromausfällen kommt, die aber meistens nach ein bis zwei Stunden behoben sind. Hier scheint aber ein größeres Problem vorzuliegen. Bereits gestern ist der Strom ausgefallen, und war erst wieder da, als wir vorhin zu unserer Sundownertour starteten. Wenn der Strom länger ausfällt, wird es für die Farmer kritisch, deren Deep Freezer jetzt zum Ende der Jagdsaison randvoll mit Wild sind. Jeder vernünftige Farmer hat immer noch einen Generator zur Reserve, auch wenn er ans Stromnetz angeschlossen ist. Namibia beabsichtigt, in Zukunft Strom zu exportieren, wenn das so genannte Kudu-Gasfeld vor Oranjemund erschlossen ist. Der Strom, der es heute nicht bis Heusis geschafft hat, kommt aus Südafrika.

 

 

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